Viaggio a Roma - Curatorial Statement

Un Paradiso Amaro*Viaggio A Roma

 
 

Curatorial Statement by Judith Augustinovic &Valerie Habsburg

Mit Un Paradiso Amaro *Viaggo a Roma stellt das Österreichische Kulturforum Rom erstmals die künstlerische Forschung um Teresa Feodorowna Ries in Italien aus. Berührungspunkte mit der jüdischen Bildhauerin und dem Ort gab es bereits anlässlich der internationalen Kunstausstellung Rom 1911, auf deren Gelände das Gebäude des österreichischen Kulturforums Rom heute steht.

Kuratiert von Judith Augustinovič und Valerie Habsburg werden neue Werke von zeitge- nössischen Künstlerinnen zu Reisen und Ausstellen als Forschungssegment des TFR Archives und die Bronzeskulptur Saint without a Name von Ries erstmalig gezeigt.

Die jüdische Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries, geboren am 30. Jänner 1866 in Budapest, studierte ab 1895 als Privatstudentin von Professor Edmund Hellmer an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ihr war es nicht möglich, offiziell als Studierende aufge- nommen zu werden, denn Frauen wurden erst ab 1920 an der Akademie zum Studium zugelassen. Ihre Bewerbung für eine Professur ebenfalls an der Akademie der bildenden Künste 1931 – als erste Frau – blieb unbeantwortet.

Als Bildhauerin stellte Ries als eine der Ersten (wieder) bereits 1896 im Künstlerhaus Wien aus. Ausstellungen in der Secession und ihr einzigartiges Talent machte Ries rasch inter- national bekannt. Es folgten Teilnahmen an den Weltausstellungen 1900 und 1911 sowie weitere internationale Ausstellungen.

Das TFR Archive ist eine Gruppe von Künstlerinnen, Kuratorinnen, Kunsthistorikerinnen und Forscherinnen, die sich um den künstlerischen Nachlass und das Vermächtnis von Teresa Feodorowna Ries kümmert. Prioritäres Anliegen ist die Aufarbeitung und Erzählung ihrer Geschichte. Wichtige Aspekte der Arbeit sind dabei Solidarität und Care.

Basis der künstlerischen Arbeiten bildet das private Archiv von Ries, welches 2018 in einem Auktionshaus zur Versteigerung kam und von Valerie Habsburg erworben wurde. Es beinhaltet das originale handschriftliche Testament, Werklisten, Briefe, Karten, ihr Tagebuch sowie Photographien. Basierend auf den Erkenntnissen und der heute erstmals möglichen Richtig-Schreibung der Geschichte und des letzten Willens der Künstlerin, wurde auch ein Restitutionsverfahren eingeleitet. Ries ist eine bedeutende Künstlerin, die vergessen (gemacht) wurde und deren Werk und Geschichte (nun wieder) sichtbar werden.
Die Autobiografie Die Sprache des Steines verfasste Ries bereits 1928 – somit vor dem Zweiten Weltkrieg und lange bevor sie wissen konnte, dass viele ihrer Werke durch die Nationalsozialisten enteignet und zerstört werden würden. Sie kehrte nach ihrer Flucht 1942 aus Wien nie wieder zurück. Viele ihrer Werke sind seither verschwunden, einige haben überlebt.

In Wien, in Italien, Russland, Kroatien und der Schweiz konnten wir Spuren von Teresa Feodorowna Ries finden, weitere gilt es noch zu finden. Das Sprechen darüber und das Zeigen, ist ein Weg, der mit dieser Ausstellung einen nächsten Schritt in diese Richtung nimmt.

Vermutlich schon ab der Wende des 19. Jahrhunderts verbrachte Ries fast jeden Sommer am Lido von Venedig:
Der Lido war jetzt schon “entdeckt” und hatte sich zu einem mondänen Badeort entwickelt,
in dessen prachtvollen Anlagen und bequemen Hotels reges internationales Leben herrschte. Im Grand Hotel des Bains richtete sie im fünften Stock des Hotels ihr Atelier ein. Sie be- wohnte immer das gleiche Zimmer, das ausschließlich an sie vermietet wurde. In Venedig stellte sie im Rahmen der Esposizione Internazionale di Venezia 1903 und 1910 aus.

Recht lange wollte ich diesmal am Lido bleiben, ..., um Ende September von dort aus

eine Italienreise zu machen. Ich wollte mir endlich die Antike ansehen!

Diese Reise brachte sie endlich 1910 nach Rom, und ließ sie aufgrund der Begeisterung für Stadt und Geschichte bis Neujahr bleiben. Im Jahr darauf war sie sowohl beim österreichischen wie beim russischen Pavillon der Esposizione Internazionale di Belle Arti vertreten.

Die Künstlerinnen setzen sich in/durch zeitgenössische Werke mit dem Nachlass auseinander, fordern das Nicht-Vergessen und verfolgen eine Umsetzung des letzten Willens der Künstlerin. Die Werke von Judith Augustinovič, Mika Aya Azagi, Anna Bochkova, Valerie Habsburg, Anka Leśniak und Anita Steinwidder sind Ausstellung, und die Ausstellung hat eine Botschaft: Wir kümmern uns – im Sinne des Wortes curare.

Wir machen die nicht sichtbare Arbeit, die mit dem Begriff der künstlerischen Forschung in engem Zusammenhang steht, sichtbar. Es geht um ein Sichtbarmachen der Forschungs- arbeit, der Geschichte und die Sichtbarkeit des Vergessens. Die Basis ist dabei, wie bereits erwähnt, das Archiv von/über Teresa Feodorowna Ries und ihre Werke, damit eine Aus- einandersetzung mit Identität, der Position als Frau, der Künstlerin, der Jüdin.

Die Ausstellung im Reiseformat ist Teil dieser Aufarbeitung und Einschreibung in die Geschichte. Die Werke der Künstlerinnen sind – wie auch die Heiligenfigur Saint without a Name – reisebereit in Koffer und Kisten gepackt und die Ausstellung geht auf eine Reise mit unbestimmter Dauer: Erste Destination Rom – und jeder zurückgelegte Kilometer, jede Schramme, tragen sich mit in die Geschichte ein, werden Teil der Ausstellung.

Mit dem Konzept auf Reisen zeichnen die Künstlerinnen den Lebensstil von Ries, und da- mit von einer Epoche, nach: Reisen nach Italien, auf Sommerfrische, zur Gesundung, zu internationalen Kunstausstellungen – in Venedig und Rom. Im Gepäck waren Persönliches, das Notwendige für die nächsten Wochen – und neben ihren Werken auch das erforder- liche Arbeitsmaterial.

Wir Künstlerinnen reisen ebenfalls mit Gepäck, das Nötigste für die nächsten Tage und den Koffern der Ausstellung. Deren Inhalt: Die kuratierte Auswahl von neugefertigten Werken im Rahmen des TFR Archives: Bekleidung, Textiles, Accessoires, Düfte, Erinne- rungen, Bücher, Plastiken nehmen neue Formen an und gehen auf Reise. Die Objekte verändern sich, verlieren sich, häufen sich, unterliegen einem Prozess: Von einem Ort zum anderen. Immer weiter, in die Zukunft.